Qualzucht: Wenn Leid angezüchtet ist
Atemnot, Entzündungen und Gelenkserkrankungen sind nur einige von vielen Krankheitsbildern, unter denen Tiere infolge einer extremen Zucht leiden. Zwar sind so genannte Qualzuchten laut Tierschutzgesetz verboten. Aufgrund einer unzureichenden Definition wird diese aber weiterhin in Deutschland praktiziert – und stark nachgefragt. Neben der unzureichenden Gesetzeslage ist unserer Ansicht nach auch die oft unkritische Darstellung dieser Zuchten in sozialen Netzwerken problematisch.
Wir haben einen Überblick über die wichtigsten Merkmale zum Erkennen von Qualzuchten bzw. Rassen mit Defektmerkmalen erstellt und geben Empfehlungen für den richtigen Umgang mit derartigen Tierleid-Darstellungen im digitalen Raum.
Qualzucht – was ist das eigentlich?
Sowohl bei Heim- als auch bei Nutztieren gibt es bestimmte Merkmale, so genannte Defektmerkmale, die selbst, oder in ihrer Folge Qualen, Leiden oder Schmerzen für die Tiere bedeuten können. Die verbundenen Einschränkungen können bei den betroffenen Tieren stark variieren – von Gelenkbeschwerden, Atemnot, und Herzproblemen bis hin zu einem begrenztem Ausdrucks- und Kommunikationsverhalten. Dabei leiden die betroffenen Tiere in vielen Fällen nicht nur unter einer, sondern einer Vielzahl an Einschränkungen.
Bisher fehlt es an einer rechtlich bindenden Konkretisierung von Qualzucht, weshalb die Konkretisierung Auslegungssache ist. Die Welttierschutzgesellschaft stützt ihr Verständnis von Qualzucht und dessen Auslegung im Alltag auf mehrere wissenschaftliche Quellen. Für einige Rassen liegen in Deutschland beispielsweise Gutachten oder Merkblätter etwa des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vor. Außerdem liegt im Rahmen des Projektes „Qualzucht-Evidenz Netzwerk (QUEN)“, in dem auch wir von der Welttierschutzgesellschaft uns engagieren, eine stetig erweiterte Datenbank vor, die umfassende wissenschaftliche Informationen bezüglich zuchtbedingter Defekte bereitstellt. Die Datenbank – strukturiert nach Rassen und bestimmten Defekten für Tiere in Menschenhand – soll Veterinärbehörden, Verwaltungen und Gerichten als Vollzugshilfe dienen und somit deren Arbeit im Sinne des Tierschutzes erleichtern.
Qualzuchten sind …
Qualzuchten sind Einzeltiere, die zuchtbedingte Defektmerkmale ausgeprägt zeigen, die unmittelbar oder in der Folge Qualen, Leiden oder Schmerzen für das Tier bedeuten können. Potentielle Qualzuchten sind Einzeltiere, die einer Rasse mit Defektmerkmalen angehören und die Defekte – womöglich auch nicht sichtbar – in Form der Erbanlagen in sich tragen können.
Ist Qualzucht im D-A-CH-Gebiet (Deutschland, Österreich, Schweiz) verboten?
Ja, in Deutschland ist Qualzucht laut des § 11b (so genannter Qualzuchtparagraph) des Deutschen Tierschutzgesetzes (TierSchG) verboten.
Das Deutsche Tierschutzgesetz im Detail:
„(1) Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch biotechnische Maßnahmen zu verändern, soweit im Falle der Züchtung züchterische Erkenntnisse oder im Falle der Veränderung Erkenntnisse, die Veränderungen durch biotechnische Maßnahmen betreffen, erwarten lassen, dass als Folge der Zucht oder Veränderung
- bei der Nachzucht, den biotechnisch veränderten Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten oder
- bei den Nachkommen
a) mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten,
b) jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder
c) die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt.“
Ebenso verbietet Österreich im § 5 Abs. 2 des Tierschutzgesetzes die Zucht sowie den Import, Erwerb, die Weitergabe, Werbung und Ausstellung Qualzuchten und auch in der Schweiz ist es ausdrücklich nicht erlaubt, Tiere zu züchten, wenn bei Elternteilen oder bei den Nachkommen durch das Zuchtziel bedingte oder damit verbundene Schmerzen, Leiden, Schäden oder Verhaltensstörungen verursacht werden.
Eine rechtlich bindende Konkretisierung von Qualzucht bleibt aber in allen bestehenden Gesetzen aus. Das hat zur Folge, dass die Gerichte im Klagefall ihre eigene Auslegung anwenden können.
Warum die unkritische Darstellung von Qualzuchten problematisch ist
Wir sind davon überzeugt, dass das anhaltend große Interesse an Qualzuchten vornehmlich aus Unwissenheit über das Leid der Tiere resultiert und der Niedlichkeitsfaktor sowie Trends, die sich beispielsweise in der Öffentlichkeit und sozialen Netzwerken formen, bei der Kaufentscheidung für ein bestimmtes Tier oder eine bestimmte Rasse weiter bei vielen Menschen im Vordergrund stehen. Eine ausführliche Ausarbeitung dazu finden Sie hier: https://welttierschutz.org/unkritische-darstellung-von-qualzucht/.
Aus diesem Grund sehen wir die unkritische Darstellung von (auch potentiellen) Qualzuchten unter anderem in sozialen Netzwerken als problematisch: Ob mit stark ausgeprägten Defektmerkmalen oder nicht – die Tiere werden in den Netzwerken vielfach unkommentiert, gar verherrlichend und verniedlichend dargestellt, wodurch die ohnehin hohe Nachfrage weiter steigen und die Zucht befördert werden könnte.
Wir appellieren deshalb im Rahmen unserer Kampagne „Stoppt Tierleid in den sozialen Netzwerken“ an alle Halter*innen von Tieren, die eine (potentielle) Qualzucht sin, sich mit der Thematik in ihren Beiträgen kritisch auseinanderzusetzen. Dazu zählt, dass alle Inhalte mit den entsprechenden Tieren einen kritischen Hinweis enthalten sollten, der über die (potentiellen) Krankheiten, Qualen, Schmerzen oder Leiden des Tieres und die Problematik der Zucht von Rassen mit Defektmerkmalen informiert. Nur so kann ein Beitrag geleistet werden, damit Qualzucht zukünftig verhindert wird.
Für Menschen, die die Beiträge sehen, gilt:
Keine Likes für Tierleid
Nutzerinnen und Nutzer der Netzwerke, die Inhalte mit potentiellen Qualzuchten oder Tieren einer Rasse mit Defektmerkmalen sehen, sollten diese Beiträge nicht liken oder kommentieren.
Jede öffentliche Reaktion verschafft dem Inhalt weitere Reichweite. Melden Sie stattdessen den Beitrag konsequent den Moderator*innen-Teams.
Bei Unsicherheit, ob es sich beim dargestellten Tier um eine Qualzucht handelt, sollte unserer Ansicht nach im Zweifel für das Tier entschieden werden: Zeigt das Tier sichtbare Defektmerkmale wie im Folgenden erläutert oder zählt es zu einer Rasse mit Defektmerkmalen und könnte potentiell (auch nicht sichtbar) die genetische Veranlagung für Defektmerkmale tragen, ist die einzig richtige Reaktion dieselbe: #KeineLikesFürTierleid – und konsequent melden.
Jetzt Petition unterschreiben!
Stärken Sie unsere Forderungen an die sozialen Netzwerke und die Bundesregierung: Für ein Stopp von Tierleid-Inhalten!
Worunter können Qualzuchten leiden?
Atemnot, Lahmheiten, Entzündungen der Haut, Fehlbildungen der Wirbelsäule sowie des Gebisses und Schädels: Die Ausprägung der Merkmale kann sehr unterschiedlich sein und schwere Folgen für die Tiere haben. Tiere, die zuchtbedingte Defektmerkmale aufweisen, haben gemeinsam, dass ihr Gesundheitszustand häufigere tierärztliche Behandlungen bzw. eine intensivere Pflege durch die Halter*innen erfordert. Oft führen die angezüchteten Defekte und ihre Folgen aber nicht nur zu lebenslangen Schmerzen, Schäden oder Verhaltensstörungen, sondern auch zu einem frühzeitigen Tod.
Im Folgenden listen wir einige der häufigsten Qualzucht-Merkmale, stark betroffene Rassen und die möglichen Folgen für die Tiere auf:
Defektmerkmale bei Heimtieren, die Sie kennen sollten
Als Grundlage für die folgende Merkmalsliste dient sowohl das oben genannte Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes des BMEL als auch die wissenschaftlich aufgearbeiteten Merkblätter des Qualzucht-Evidenz-Netzwerkes. Die genannten Defekte stellen zum Teil Zuchtziele dar, die mit dem geltenden Tierschutzgesetz nicht vereinbar sind.
weitere Defektmerkmale – vornehmlich bei Hunden:
weitere Defektmerkmale – vornehmlich bei Katzen:
Weitere Informationen finden Sie auch hier: https://welttierschutz.org/qualzucht-der-trend-zu-kranken-katzen/.
Häufige Defektmerkmale bei Kleintieren, die Sie kennen sollten
Defektmerkmale bei Nutztieren, die Sie kennen sollten
Bei Nutztieren wird die Qualzucht insbesondere mit dem Ziel der Leistungssteigerung betrieben.
Viele Tiere leiden unter zuchtbedingten Krankheiten aufgrund der Umgestaltung ihrer Körperteile. Die betroffenen Tiere leben nicht nur mit Schmerz und Einschränkungen, sondern weisen häufig auch Erkrankungen auf, die ihr Sozialleben maßgeblich einschränken oder frühzeitig zum Tod führen können.
Die WTG fordert: Das Wohl der Tiere in den Mittelpunkt
Unsere Forderungen richten sich an:
… die Gesetzgebung:
Solange es an einer rechtlich bindenden Konkretisierung von Qualzucht fehlt, wird sich an den oft tierquälerischen Zuständen nichts ändern. Eine Neuregelung, die im Zweifel für das Tier entscheidet, muss helfen, dass durch Qualzucht bewusst erzeugtes Leid verhindert wird. Die Gesetzgebung ist entsprechend angehalten, die Wissenschaft dabei zu fördern, eine Defektmerkmal-orientierte Definition von Qualzucht zu erarbeiten, aus der dann Zuchtverbote oder Anpassungen der Zuchtstandards im Sinne des Tierwohls resultieren.
In Bezug auf bestimmte Rassen mit Defektmerkmalen müssen wir schon jetzt davon ausgehen, dass die Einzeltiere Qualzuchten sein können. Insbesondere Tiere, bei denen entsprechende Defekte sichtbar ausgeprägt sind oder genetisch nachgewiesen werden können, sollten deshalb unmittelbar und konsequent von der Zucht, Werbung und unkritischen Darstellung etwa in sozialen Netzwerken ausgeschlossen werden.
… die Zuchtverbände und Züchter*innen:
Züchter*innen sollten die gezielte Entstehung und Vermehrung von Qualzuchten verhindern. Dies betrifft auch die derzeit gerne propagierten Rückzuchten oder gezielte Mischzuchten einiger Rassen, da auch hier nicht sichergestellt werden kann, dass die Zwischengenerationen frei von Leiden sein werden. (Siehe auch: Gutachten zur Frage, ob Verstöße gegen das Qualzuchtverbot nach § 11b Abs. 1 TierSchG tatbestandlich ausgeschlossen oder gerechtfertigt sein können, wenn bezweckt ist, als Endresultat – d. h. nach mehreren Zuchtgenerationen – schmerz-, leidens- und schadensfrei lebensfähige Nachkommen zu erzielen: https://qualzucht-datenbank.eu/wp-content/uploads/2021/10/Ergaenzungsgutachten-Cirsovius-30.09.2021.pdf). Grundsätzlich gilt es, nur mit gesunden Tieren und keinen Individuen einer Rasse mit Defektmerkmalen zu züchten, deren Zuchtstandards Leiden und Schmerzen zur Folge haben können.
… (potentielle) Tierhalter*innen und Verbraucher*innen:
Wir wünschen uns: Rücken Sie das Wohl des Tieres in den Mittelpunkt Ihrer Entscheidung bei der Wahl für eine bestimmte Rasse oder ein bestimmtes Tier. Die Tierzucht ist stark von der Kund*innennachfrage beeinflusst und kann daher auch dadurch geleitet werden, dass fortan gezielt Gesundheit über Aussehen und/oder Leistung gestellt wird!
Im Hinblick auf Qualzucht von Nutztieren sollte es des Weiteren allen Verbraucher*innen bewusst sein, dass durch das eigene Kaufverhalten unter Umständen Tierleid billigend in Kauf genommen und die Qualzucht in der Nutztierhaltung gar unterstützt wird. Verbraucher*innen sollten daher unbedingt auch eigenständig recherchieren und sich informieren.
… von sozialen Netzwerken und seinen Nutzer*innen:
Zahlreiche Werbetreibende und relevante Nutzer*innen-Profile in sozialen Netzwerken setzen Qualzuchten als Werbegesichter auf Plakaten oder Anzeigen ein. Besonders häufig werden die vermeintlich niedlichen Tiere auch von Tierhalter*innen dargestellt, um Reichweite zu gewinnen – dabei beliebt sind brachyzephale oder zwergwüchsige Tiere, die etwa durch die großen „Kulleraugen“ oder die platten Nasen das Kindchenschema verkörpern. Durch diese unkritische Darstellung von Qualzuchten wird unserer Ansicht nach das mit der Qualzucht verbundene Tierleid verharmlost und der gefährliche Trend maßgeblich befördert. Wir fordern deshalb auch die sozialen Netzwerke auf, konsequenter gegen die unkritische Darstellung von Tierleid wie (potentiellen) Qualzuchten vorzugehen. Unsere Forderung an die Betreiber*innen der Netzwerke können Sie hier mit Ihrer Petitions-Unterschrift stärken: https://welttierschutz.org/tierleid-stoppen/.
Konkrete Forderungen an Halter*innen von Tieren, die (potentielle) Qualzuchten sind, lesen Sie auch hier: https://welttierschutz.org/unkritische-darstellung-von-qualzucht/.
Und auch von Seiten der Nutzer*innen sozialer Netzwerke muss der Umgang mit und die Reaktion auf Qualzuchten überdacht werden. Inhalte, die (potentielle) Qualzucht unkritisch darstellen, sollten ignoriert und konsequent den Moderator*innen-Teams gemeldet werden. Wie Sie dabei in sozialen Netzwerken vorgehen sollten, zeigt unser Leitfaden.
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++ Der Welttierschutzgesellschaft e.V. weist darauf hin, dass dieser Artikel mit größter Sorgfalt recherchiert und erstellt wurde. Die Inhalte und Links werden allerdings nicht stetig aktualisiert und beziehen sich grundsätzlich immer auf den Stand der Recherche zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Wenn Sie Anregungen oder Bemerkungen zum Artikel haben, nehmen Sie bitte mit uns Kontakt via info@welttierschutz.org Kontakt auf. ++
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