TIERÄRZTE WELTWEIT: Erfolge, Visionen und die Arbeit in Zeiten von Corona
Seitdem das Programm TIERÄRZTE WELTWEIT* im Jahr 2015 ins Leben gerufen wurde, konnten bereits in zehn Ländern 3.622 Studierende und 366 praktizierende Tierärzt*innen aus- oder weitergebildet werden – ein Riesenerfolg. Dr. Wendy Phillips hat vom ersten Tag an die Leitung des Programms und berichtet im Interview über Erfolge, Zukunftsvisionen und die Arbeit in Zeiten von Corona.
Hintergrund: TIERÄRZTE WELTWEIT
Gemeinsam mit der Welttierschutzstiftung und lokalen Partnern engagieren wir uns im Rahmen des Programms TIERÄRZTE WELTWEIT (englisch: VETS UNITED) für mehr Tierschutz in tierbezogenen Berufen in Ländern des Globalen Südens. Dafür setzen wir bei zahlreichen Berufsgruppen an, um durch Aus- und Fortbildungskurse sowohl theoretisch als auch praktisch Tierschutzthemen zu lehren und so das Tierwohl durch eine optimierte tiermedizinische Versorgung nachhaltig zu verbessern.
Zum ProgrammAus aktuellem Anlass zunächst die Frage: Setzt das Programm derzeit angesichts der Coronakrise aus?
„Die Aus- und Fortbildungskurse in Anwesenheit vieler Studierenden mussten entsprechend der staatlich angeordneten Restriktionen zum Schutz der Menschen in allen unseren Projekten ausgesetzt werden, doch still steht das Programm ganz und gar nicht. Unser Team in Berlin sowie die Projektmanager*innen vor Ort begleiten die Studierenden und Trainer*innen dabei, auf die Nutzung digitaler Lehrinhalte umzusteigen. Dabei wird zum einen auf das bereits vorliegende Online-Schulungsmaterial zurückgegriffen. Entsprechend der aktuellen Situation werden Übungen, die in Gruppen oder im Rahmen von mobilen Kliniken vorgesehen sind und momentan nicht stattfinden können, angepasst. Zusätzlich stellen wir für unsere Partner Materialen aus anderen Quellen zusammen.
Jede Woche wird ein neues Thema bearbeitet über welches den Studenten und Tierärzten unter anderem Texte, Artikel, Kurzfilme, Fallbeispiele und Quizfragen geschickt werden. Wir beraten uns wöchentlich virtuell über neue Inhalte und justieren nach. Das Feedback ist großartig – die Studierenden sind mit viel Eifer dabei.“
Sie sind selbst Tierärztin. Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit als Tierarzt in Deutschland von einem Schwellen- und Entwicklungsland?
„Einer der größten Unterschiede ist sicherlich die Tierärzt*innendichte in den Ländern. In Deutschland gibt es ca. 40.000 Tierärzt*innen, in vielen unserer Projektländer gibt es weniger als 100 Tierärzt*innen. Diese sind häufig für riesige Gebiete mit tausenden, weit verteilt lebenden Tieren zuständig.
Da besonders in den ländlichen Gebieten, die Infrastruktur vielerorts kaum ausgebaut ist, ist es eine große Herausforderung, überhaupt zu den Tieren zu gelangen. Zudem ist die Verfügbarkeit von Medikamenten, Verbrauchsmaterialien und Diagnostikmethoden, wie zum Beispiel Röntgen, Ultraschall und Laborgeräte aber auch ganz grundlegender Utensilien wie Stethoskope oder Thermometer, viel geringer.“
Warum gibt es in den meisten Schwellen- und Entwicklungsländern nur so wenige Tierärzt*innen?
„In vielen Ländern gibt es gar nicht erst die Möglichkeit Tiermedizin zu studieren. Und selbst dort, wo es eine tiermedizinische Fakultät gibt, ist das Studium im Vergleich zum landesüblichen Durchschnittseinkommen in der Regel sehr teuer. Zudem kehren viele Studierende, die z.B. durch ein Stipendium die Möglichkeit bekommen haben im Ausland zu studieren, nach ihrem Abschluss nicht in ihr Heimatland zurück.“
Was sind weitere Probleme?
„Die Qualität der Ausbildung, insbesondere im Hinblick auf das Erlernen praktischer Fähigkeiten, ist ein sehr großes Problem. Die Studierenden haben im Laufe ihrer Ausbildung so gut wie keine Gelegenheit, praktisch zu arbeiten und sind somit nach ihrem Abschluss nicht auf die Ausübung ihres Berufes vorbereitet. Da es insgesamt so wenig Tierärzt*innen gibt, bietet sich kaum einem*r Berufsanfänger*in die Möglichkeit, von Kolleg*innen zu lernen. Viele frisch gebackene Tierärzte*innen sind direkt auf sich allein gestellt, weshalb es noch wichtiger ist, sie im Studium entsprechend vorzubereiten.“
Das Ziel des Programms ist es, Tierschutz fest in die Lehrpläne und die Fortbildung zu integrieren. Inwiefern?
„Tierschutz soll als fester Bestandteil in den Lehrplan des Tiermedizinstudiums sowie in die Ausbildung des lokalen Tiergesundheitspersonals integriert werden. Das Programm TIERÄRZTE WELTWEIT behandelt dabei Tierschutz nicht als alleinstehendes Thema, sondern integriert es in bestehende Unterrichtsfächer wie klinische Untersuchung, Tierhaltung, Chirurgie und Rechtslehre. Es werden beispielsweise Themen wie das Vermeiden von Stress beim Umgang mit Tieren, Schmerzerkennung und -behandlung oder Tierschutz bei Tiertransporten thematisiert. Zudem begleiten Studierende mobile Kliniken, und praktizierende Tierärzt*innen sowie Paravets (Fachkräfte für Tiergesundheit) werden in Trainings fortgebildet.
Neben der Vermittlung des theoretischen Wissens wird insbesondere Wert auf das Erlernen praktischer Fähigkeiten in der direkten Arbeit mit Tieren gelegt. So haben beispielsweise die Studierenden der Tiermedizin in Malawi durch die regelmäßige Teilnahme an mobilen Kliniken unserer lokalen Partner die Möglichkeit, erfahrenen Tierärzt*innen bei ihrer Arbeit über die Schulter zu schauen und selbst aktiv zu werden: Von der Untersuchung über die Diagnose bis hin zur Behandlung oder vorbeugenden Maßnahmen wie Impfungen und Entwurmungen.“
Haben Sie ein Beispiel aus einem der Einsatzländer, bei dem der Erfolg des Konzeptes besonders deutlich wird?
„In Gambia gibt es keine tierärztliche Ausbildung, aber an der Gambia University, der einzigen Universität des Landes, sowie am Gambia College werden die Studiengänge Landwirtschaft und Tiergesundheit angeboten. Die Absolvent*innen dieser Studiengänge sind für die medizinische Versorgung der Tiere im Land zuständig. Als wir 2016 das Projekt in Gambia starteten, war Tierschutz an keiner der beiden Institutionen Bestandteil des Lehrplanes. Auch hatten die Studierenden kaum Möglichkeit, praktische Fähigkeiten zu erwerben. Inzwischen ist Tierschutz ein akkreditiertes Modul sowohl an der Universität als auch am College, und es finden wöchentliche Praxiseinheiten statt. Besonders freut es mich, dass sich jedes Jahr mehr Studierende entscheiden, ihre Abschlussarbeiten über tierschutzrelevante Themen zu schreiben.“
Was ist die größte Herausforderung bei dem Vorhaben?
„Die Integration des Themas Tierschutz in das Curriculum ist eigentlich kein Problem, da die Partner, die auf uns zukommen, eine Verbesserung der Ausbildung anstreben und ihnen die Bedeutung des Themas Tierschutz in der Ausbildung bewusst ist. Der Prozess der Integration in den Lehrplan kann aber in einigen Ländern allerdings durchaus mehrere Jahre dauern. Das liegt daran, dass einige Universitäten bzw. Colleges ihren Lehrplan nur alle 5 Jahre überarbeiten und häufig diverse Institutionen wie z.B. Ministerien und die Tierärztekammer daran beteiligt sind, so beispielsweise in Uganda und Malawi.“
Wie wird das Lehrmaterial von den Studierenden bzw. von den Fortzubildenden angenommen?
„Sehr gut. Das Schulungsmaterial behandelt viele verschiedene Tierschutzaspekte der Arbeit von Tierärzt*innen und Paravets. Die Themen können entsprechend der spezifischen Problematiken im Land und der Zielgruppe ausgewählt, adaptiert und ergänzt werden. So kann bestmöglich auf die Situation im Land eingegangen werden, wovon die Teilnehmer*innen besonders profitieren.
Auch zu unserem »Online-Schulungsmaterial bekommen wir sehr viel positives Feedback. Idee ist es, auch dort etwas zu verbessern, wo wir mit dem Programm TIERÄRZTE WELTWEIT nicht unmittelbar im Einsatz sein können. Daher haben wir Vorlesungen, Anleitungen zu Übungen, Kurzfilmen und Tests zu vielen tierschutzrelevanten Themen entwickelt, das weltweit von jeder*m Interessierten kostenfrei verwendet werden kann.“
Welche Konsequenzen hat es, wenn Tierärzt*innen nicht über zusätzliches Wissen und praktische Fähigkeiten im Bereich „Tierschutz“ verfügen?
„Tierschutz ist kein separates Thema, sondern muss jeden Tag und in jeder Tätigkeit von Tierärzt*innen und Paravets berücksichtigt werden. Dafür müssen diese bestenfalls schon während ihrer Ausbildung oder aber im Rahmen von Weiterbildungen sensibilisiert werden. Bei den praktischen Übungen z.B. im Rahmen von mobilen Kliniken werden die Studierenden bereits mit vielen Tierschutzproblemen konfrontiert und eignen sich die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten an, um mit diesen umzugehen. Auch lernen sie während der Kliniken viel über die Kommunikation mit Tierhalter*innen und wie sie diese für die Bedürfnisse ihrer Tiere sensibilisieren. Dies ist wichtig, denn an erster Stelle sind es die Halter*innen, die für das Wohl und die Gesundheit der Tiere verantwortlich sind.
Fehlendes Wissen und unzureichende praktische Erfahrung im Bereich Tierschutz kann entsprechend direkt negative Auswirkungen auf die Haltung, die Versorgung und folglich den Gesundheitszustand und das Wohl der Tiere haben.“
Das Programm TIERÄRZTE WELTWEIT feiert in diesem Jahr fünfjähriges Jubiläum. Welche Erfolge des Programms haben Sie in der Vergangenheit besonders bewegt?
„Die erste Universität, die Tierschutzthemen offiziell im Lehrplan aufgenommen hat (Gambia) oder der erste Dozent, der speziell für Tierschutz angestellt wurde (Uganda), waren großartige Erfolge.
Doch es sind für mich vor allem auch die kleinen, persönlichen Geschichten, die belegen, dass wir auf dem richtigen Weg sind: der Paravet aus Gambia, der im Training mit Tierhalter*innen ausführlich über die Bedürfnisse der Tiere spricht, zum Beispiel, dass diese täglich frisches Wasser benötigen. Oder eine Studierende, die einen verletzten Hund rettet. Aktuell bewegt mich das großartige Engagement der Studierenden in Bezug auf das ‚virtuelle Lernen‘.“
Und wenn Sie in die Zukunft blicken könnten: Wo steht TIERÄRZTE WELTWEIT im Jahr 2025?
„Seit Anfang dieses Jahres sind wir auch in Kenia, Ruanda und Simbabwe im Einsatz. Die Projekte dort sind, trotz der erschwerten Umstände durch Corona, dank unserer digitalen Strategie gut angelaufen. Bis 2025 wünsche ich mir, dass unsere derzeitigen Projekte “auf eigenen Beinen stehen”, also im Land fortgeführt werden, und das Programm weiter expandieren kann.“
* TIERÄRZTE WELTWEIT ist ein Gemeinschaftsprogramm der Welttierschutzgesellschaft und der Welttierschutzstiftung mit Projekten in Gambia, Uganda, Liberia, Malawi, Kenia, Simbabwe und Ruanda.
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