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Muttergebundene Kälberaufzucht

Bereits seit fünfzehn Jahren betreibt Mechthild Knösel auf dem Hofgut Rengoldshausen die muttergebundene Kälberaufzucht. Sie hat sich somit vergleichsweise früh gegen die noch immer gängige Praxis gewendet, dass Kälber kurz nach der Geburt von der Mutter getrennt und fortan mit einem Milchersatz ernährt werden. Inzwischen ist sie eine gefragte Expertin, die zu diesem Thema auch über Deutschland hinaus Seminare anbietet. In einem ersten Interview, das die Welttierschutzgesellschaft vor etwa vier Jahren mit ihr führte, stellte uns Mechthild Knösel ihre Haltungsmethode vor. Jetzt haben wir noch einmal mit ihr gesprochen: u.a. darüber, was Landwirte bei der Umstellung auf eine muttergebundene Aufzucht beachten müssen, welche Dinge sie auf ihrem Hof verändert hat und was sie Kritikern dieser Haltungsform entgegnet.

Mechthild Knösel vom Hof Rengoldshausen betreibt seit über 15 Jahren muttergebundene Kälberaufzucht
© Sigrun Janiel
„Die muttergebundene Aufzucht bereitet viel Freude und macht auch die Tiere glücklich.“

Welttierschutzgesellschaft (WTG): Die Idee, dass Kälber nach der Geburt nicht sofort von den Müttern getrennt werden, war vor einigen Jahren noch vielen Landwirten und auch Verbrauchern  fremd. Wie hat sich die Wahrnehmung der muttergebundenen Kälberaufzucht entwickelt?

Mechthild Knösel (MK): Es hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Ich merke einen deutlichen Gegensatz zu früher, als wir mit unserer Art, die Kälber großzuziehen, noch wirklich in der Nische waren. Den meisten Landwirten ist das Thema inzwischen schon einmal begegnet. Bei manchen trifft es einen Nerv. Sie informieren sich, kommen auch bei uns auf den Hof. Die meisten, die ich beraten habe, stellen fest, dass die muttergebundene Aufzucht viel Freude bereitet, auch die Tiere glücklich macht und dabei keinen zeitlichen Mehraufwand bedeutet.

Muttergebundene Kälberaufzucht macht die Tiere glücklich
© Sigrun Janiel
„Ich brauche so gut wie keinen Tierarzt mehr im Kälberstall.“

WTG: Welche konkreten Auswirkungen auf die Tiere können Sie aus langjähriger Erfahrung beobachten?

MK: Bei der muttergebundenen Aufzucht findet ja eine Ad-libitum-Fütterung statt. Das heißt, die Kälber bekommen so viel Milch wie sie möchten. Zusammen mit der Fürsorge der Mutter führt das zu Gesundheit und Wachstum. Unsere Kälber sind sehr fit: Beim Absetzen von der Mutter wiegen sie im Schnitt 200 Kilogramm und sind damit deutlich schwerer als ein normales Milchkalb zu diesem Zeitpunkt.

Das entkräftet wiederum auch andere Argumente, die gegen die muttergebundene Aufzucht aufgeführt werden. Zum Beispiel, dass es angeblich zu teuer ist, den Kälbern so viel Milch zu geben. Denn die andere Seite der Medaille ist, dass ich dadurch so gut wie keinen Tierarzt mehr im Kälberstall brauche. Das kann fast kein Betrieb von sich behaupten, denn ich weiß aus Erfahrung von früher und von Kollegen, dass Kälbergesundheit stets ein Thema ist. Dass unsere Kälber so robust sind, ist natürlich zum einen super für die Tiere, aber natürlich auch für mein Budget als Landwirtin.

Muttergebundene Kälberaufzucht: robuste Kälber und geringere Tierarztkosten
© Sigrun Janiel
„Die Umstellung bedarf einer guten Beratung und Durchhaltevermögen.“

WTG: Was gibt es bei der Umstellung auf eine muttergebundene Aufzucht zu beachten?

MK: Wer seinen Betrieb umstellt, muss wissen: Nicht alles klappt vom ersten Tag an. Die Tiere müssen sich auf Veränderungen einstellen können. Denn es geht ja hier um Kühe, die ihr Leben lang noch nie ein Kalb hatten, weil sie es nach der Geburt nicht behalten durften.

WTG: Wenn Sie Höfe bei der Umstellung beraten: Worauf fällt Ihr Blick als Erstes?

MK: Wenn ich andere Landwirte berate, schaue ich zuerst auf den Stall, denn davon hängt viel ab. Wo sich Mütter und Kälber aufhalten können, wie lange das möglich ist und wie oft das geschieht – all das wird davon beeinflusst, wie der Stall angelegt ist.

WTG: Woran liegt es, dass nicht noch mehr Landwirte umstellen?

MK: Die Traditionen im Denken sind sehr stark. Manche wehren sich schon bei der Vorstellung, so etwas wie die muttergebundene Aufzucht überhaupt zu probieren. Dann suchen sie nach Gründen, weshalb es nicht funktionieren kann. Bei Argumenten wie „Es ist zu aufwendig“ oder „Die Tiere werden nicht satt“ muss ich immer schmunzeln. Denn der Arbeitsaufwand ist wirklich gering und auf unserem Hof lässt sich wunderbar beobachten, dass die Kälber deutlich satter werden als in anderen Systemen.

Außerdem gibt es Betriebe, die es versucht haben, aber nicht wirklich gut beraten wurden. Grundsätzlich wäre eine bessere Beratung in dem Bereich dringend notwendig, sie ist aber auch schwer umzusetzen und bedarf Durchhaltevermögen. Denn die muttergebundene Aufzucht muss sich individuell auf jedem Hof fortentwickeln.

WTG: Gibt es auch Änderungen, die Sie auf Ihrem Hof in den letzten Jahren getätigt haben?

MK: Ja. Ich habe den Stallbereich umgebaut, in dem Mütter und Kälber den ersten Monat komplett zusammen sind. In dieser ersten Phase der Aufzucht konnte es manchmal etwas eng werden. Das hatte die Folge, dass einige Tiere frühzeitig in die nächste Phase wechseln mussten, in der sich Mutter und Kalb nur noch zwei Mal am Tag sehen. Jetzt ist es viel luftiger und keine Kuh muss mehr vorzeitig in die nächste Phase. Dadurch haben wir erreicht, dass alle Kühe mindestens acht Wochen durchgängig bei ihren Kälbern sind.

Muttergebundene Kälberaufzucht. Die Trennung von Kuh und Kalb erfolgt in kleinen Schritten.
© Sigrun Janiel
„Trennungsschmerz ist kein Argument gegen die muttergebundene Aufzucht.“

WTG: Ein weiteres vermeintliches Argument, das noch immer gegen die muttergebundene Aufzucht zu lesen ist, ist das Thema Trennungsschmerz. Haben sich Mutterkuh und ihr Kalb erstmal an einander gewöhnt, würden sie bei der Trennung weitaus mehr leiden. Wie stehen Sie dazu?

MK: Der erste Moment der Veränderung ist auch in unserem Haltungssystem stressig. Wenn das Kalb weg ist, ist das immer ein trauriges Ereignis für die Kuh. Aber ich kann der Kuh helfen, besser damit klar zu kommen. Das schaffe ich mit langsamen Übergängen, wenn die Tiere zwischen den Phasen wechseln, also bevor sie sich nur noch zwei Mal täglich sehen und vor dem Absetzen vom Kalb. Ich habe Übergangsphasen von einer Woche eingerichtet, wo Mutter und Kalb Zeit bekommen, sich mit der Veränderung vertraut zu machen. Wenn die Kuh das Kalb nur noch zwei Mal am Tag sieht, dann ist sie zunächst nur ein paar Stunden nicht beim Kalb. Am nächsten Tag ein bisschen länger und immer so weiter. Die Veränderungen geschehen so langsam, dass die Tiere davon nicht überfordert werden. Deshalb ist Trennungsschmerz bei uns kein wirkliches Problem und erst recht kein Argument gegen die muttergebundene Aufzucht.

WTG: Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft der Milchkuhhaltung?

MK: Am Wichtigsten ist mir, dass künftig mehr vom Tier aus gedacht und gehandelt wird. Das bedeutet, dass die Bedürfnisse der Tiere bei der Haltung viel mehr im Fokus stehen. Denn daraus folgt eine Arbeit mit dem Tier und nicht gegen das Tier. Das Schöne ist: die Erfahrung zeigt, dass wenn die Tiere die Chance haben „mitzumachen“, werden die Probleme kleiner und die Freude an der Arbeit mit den Tieren größer! Speziell für die Entwicklung der muttergebundenen Kälberaufzucht wünsche ich mir, dass sich endlich praxistaugliche Beratungsstrukturen entwickeln, die interessierten Landwirten den Umstieg einfacher machen.

Hofliste mit mutter- oder ammengebundener Kälberaufzucht

 
Wenn Sie erfahren möchten, welche Höfe in Ihrer Region alternative Kälberaufzucht betreiben, werfen Sie einen Blick auf unsere »Hofliste. Hier können Sie mit einem Klick sehen, bei welchen nahe gelegenen Höfen Sie die Milch direkt im Hofladen oder auf Wochenmärkten kaufen können.

 

Wir danken der Tierfotografin Sigrun Janiel (www.tierfotografin-janiel.de) für ihren ehrenamlichen Einsatz. Sie hat sich einen ganzen Vormittag Zeit genommen, um Hof, Tiere und Landwirtin Mechthild Knösel kennenzulernen. Dabei sind diese großartigen Aufnahmen entstanden.

Die vergessenen Milchkühe: Helfen Sie!

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