Merinowolle
Das Schaf wurde als eines der ersten Pflanzenfresser vom Menschen domestiziert und seine Wolle wird nachweislich seit mehr als 10.000 Jahren vom Menschen genutzt. Für die Wollgewinnung werden die meisten Schafrassen mindestens einmal im Jahr geschoren, manche ausgekämmt, einige wenige und seltene Arten auch gerupft. Am häufigsten wird die Wolle von Merinoschafen für die Herstellung von Bekleidung genutzt. Doch diese ist im Hinblick auf den Tierschutz besonders problematisch.
Recherche: Dominik Dammer, Bundesfreiwilligendienstleistender
Woher kommt Merinowolle?
Deutschland importiert 95 Prozent der Merinowolle aus dem Ausland – vor allem aus Australien.
In Deutschland spielt das Schaf als Wolllieferant heute so gut wie keine Rolle mehr. Die ca. 1,5 Mio. Schafen, die hierzulande gehalten werden, darunter rund 500.000 Merinoschafe, werden vor allem für die Fleischerzeugung und die Landschaftspflege genutzt. Wolle dagegen ist für deutsche Schafzüchter*innen in der Regel nur noch ein Nebenprodukt. Die Kosten für die Schur und weitere anfallende Arbeitsvorgänge wie das Sortieren und den Transport übersteigen bei Weitem den Preis, den die Schäferin oder der Schäfer für die Wolle bekommt – zwischen 0,50 und 1,20 Euro pro Kilogramm, während die Schurkosten pro Schaf bei rund 3,80 Euro und damit deutlich über dem Wollerlös liegen. Das hat auch mit der Wollqualität zu tun: Während die Wolle der in Deutschland gehaltenen Schafe aufgrund ihrer groben und rauen Struktur eher für Jacken, Decken und Bettwaren verwendet wird, kommt für Pullover, Babybekleidung, Unterwäsche und Sportkleidung in erster Linie die viel feinere Wolle des australischen Merinoschafes zum Einsatz. Mehr als 70 Millionen Schafe werden über Australien verteilt in Herden mit Größen von oftmals mehr als 10.000 Tieren gehalten. So stammen aus Australien 88 Prozent der weltweiten Produktion. Für das Kilo Merinowolle „Made in Australia“ bekommen die Farmer dort über zehn Euro, was in 2018 zu einem Gesamtumsatz in Höhe von 2,3 Milliarden Euro führte.

Wie ist es um das Tierwohl und den Tierschutz bei der Wollgewinnung bestellt?
Vorweggenommen: Schafe müssen geschoren werden, weil sie vom Menschen über Jahrhunderte auf enormes Wollwachstum hin gezüchtet wurden. Während Wildschafe nur so viel Wolle haben, wie sie brauchen, haben Zuchtschafe ein unnatürlich hohes Fellwachstum, das für die Tiere zu einer großen Last werden kann. Unterbleibt die regelmäßige Schur, wird die Wolle, nicht nur wegen ihres enormen Gewichtes, das auf das Skelett der Tiere drückt und zu Gelenkproblemen führen kann, eine große Belastung. Auch das Wärmeregulationsvermögen der Tiere wird gestört, die Belastung durch Ectoparasiten (Außenparasiten) kann zunehmen und neugeborene Lämmer haben Schwierigkeiten, die Zitzen zu finden.
Mit anderen Worten: Das Schaf ist in einer angezüchteten Abhängigkeit vom Menschen.
Tierschutz bei der Schur
Die Schur ist für die Schafe grundsätzlich kein angenehmer Vorgang, da er die Tiere in eine unnatürliche, durchaus mit Stress verbundene Position bringt. Dennoch ist der Vorgang der Schur an sich – vorausgesetzt sie wird fach- und tiergerecht durchgeführt – aus Tierschutzsicht wenig problematisch. Anders sieht es aus, wenn das Wohl der Schafe bei der Schur in den Hintergrund rückt und Tieren Gewalt oder Verletzungen zugefügt werden. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Scherer*innen unter großem Zeitdruck stehen oder Unwissenheit hinsichtlich des Umgangs mit den Tieren herrscht. Die Leidtragenden sind dann vor allem die Schafe: Es gibt Dokumentationen von Fällen, wo diese geschlagen werden, wenn sie versuchen zu fliehen. Auch Schnittverletzungen, die bis hin zu tiefen Wunden reichen können, können den Tieren unter diesen Umständen zugefügt werden.
Aus Tierschutzsicht dagegen sehr relevant ist das mit großen Schmerzen für die Schafe verbundene Verfahren des Mulesings, dem viele Merinoschafe im Alter von wenigen Wochen unterzogen werden.

Die schmerzhafte Praktik des Mulesing
Um möglichst viel Wolle zu liefern, wurden Merinoschafen über Jahrzehnte übermäßig viele Hautfalten am gesamten Körper angezüchtet. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Gesundheit der Tiere: Am Hinterteil kommen die überschüssigen Hautfalten leicht mit Ausscheidungen in Berührung, was dazu führen kann, dass sich nässende Stellen bilden. Diese Stellen sind ideale Brutplätze für die Maden einer Schmeißfliegenart (Lucilia cuprina), die in Australien und Neuseeland weit verbreitet ist. Die Maden graben sich unter die Haut der Tiere, wo sie sich ernähren. Dieser sehr schmerzhafte Parasitenbefall kann zum Tod der Schafe führen. Durch das sogenannte Mulesing, benannt nach seinem Erfinder, dem Engländer John H. Mules, soll der Befall mit Fliegenmaden (Myiasis) verhindert werden. Dabei wird Lämmern ein Hautdreieck zwischen Schwanz und After weggeschnitten sowie der Schwanz oberhalb des dritten Schwanzwirbels kupiert. Ziel ist ein glattes und faltenfreies Narbengewebe, auf dem keine Wolle mehr wächst und entsprechend keine Fliegen mehr angelockt werden. Doch das Verfahren wird in der Regel ohne Schmerzausschaltung und nachfolgende Schmerzbehandlung durchgeführt und ist extrem schmerzhaft für die Tiere.

Hierzulande, wo andere artverwandte Fliegenarten, diesen Madenbefall verursachen können, ist das Mulesing, wie in allen EU-Mitgliedsländern – mit Ausnahme der Slowakei und Nordirlands verboten. Ebenso in Ländern wie Neuseeland und Südafrika, in denen die spezielle Art Lucilia cuprina vorkommt und wo das Verfahren wie in Australien lange üblich war. Doch im weltweiten Hauptexportland Australien selbst ist ein solches Verbot derzeit leider nicht in Sicht. Hier gilt lediglich ein freiwilliges Verbot dementsprechend jeder Schafzüchter selbst entscheiden darf, ob seine Schafe gemulest werden oder nicht. Die meisten entscheiden sich dafür: Rund 70 Prozent der australischen Merinolämmer werden der schmerzhaften Prozedur unterzogen. Laut Angaben der Australian Wool Growers Association (Gesellschaft der Australischen Wollproduzenten) würden allerdings immer mehr Eingriffe unter lokaler Betäubung durchgeführt werden, so sei diese im Jahr 2010 bereits in 60 % der Fall gewesen.
Ein Lösungsansatz zur Vermeidung des Parasitenbefalls wäre langfristig die Zucht auf weniger ausgeprägte Hautfalten und Bewollung in der After- und Genitalregion. Unmittelbar anwendbare Alternativen zum Mulesing sind das regelmäßig Stutzen der Wolle an den betroffenen Stellen und das mehrmals jährliche Anwenden von Insektiziden. Dabei werden die Schafe durch Bäder mit Permethrin getrieben, einer Chemikalie, die Insekten und deren Maden und andere Larven abtötet. Dass diese Alternativmethoden derzeit nicht massenhaft angewandt werden, hat zum einen ökonomische Gründe: Die Behandlung mit Insektiziden und das regelmäßige Stutzen sind mit mehr Aufwand und hohen Kosten für die Landwirte verbunden und hätten eine Anstieg des Wollpreises zur Folge. Zum anderen ist das schwer abbaubare, umweltgefährliche und in hoher Dosierung für den menschlichen Organismus als schädlich – einigen Quellen zufolge als krebserregend – geltende Permethrin in der Wolle behandelter Tiere in erheblicher Menge nachweisbar. Da der Wirkstoff leicht durch die Haut in den Blutkreislauf aufgenommen wird, ist das Tragen permethrinhaltiger Kleidung aus gesundheitlicher Sicht bedenklich.
Transparenz? Fehlanzeige!
Leider ist die Transparenz der Unternehmen im Hinblick auf das Anwenden von Verfahren wie Mulesing größtenteils nicht zufriedenstellend. Das TV-Magazin ZDF-Zoom befragte 2019 insgesamt 34 deutsche Händler und Label, ob sie mulesing-freie Produkte anbieten. Rund die Hälfte gab an, sich auf die Aussagen ihrer Lieferanten zu verlassen, dass kein Mulesing stattfindet. Auf eine einsehbare Lieferkette und damit eine Rückverfolgbarkeit der Rohstoffe bis zu ihrem Ursprung, konnte niemand verweisen. Zwar distanzieren sich viele große Modeketten wie H&M, BOSS und Adidas von „Mulesing-Wolle“, doch häufig finden sich im Einzelhandel Wollartikel ohne Angaben dazu, woher der verwendete Rohstoff stammt und ob die Produktion unter tierschutzgerechten Bedingungen erfolgte.
Orientierung für den Endverbraucher bieten deshalb letztlich vor allem Siegel und Zertifikate, die Aufschluss darüber geben sollen, ob die Wolle unter tiergerechter und umweltverträglicher Weise produziert und weiterverarbeitet wurde. Wir haben uns diese im Hinblick auf die Tierschutzstandards und speziell das Mulesing genauer angeschaut.
Alternativen und Tipps
Die Welttierschutzgesellschaft spricht sich klar für eine Deklarationspflicht aus. Ziel muss es sein, eine obligatorische Rückverfolgbarkeit der Tiere und ihren Haltungsbedingungen und den angewendeten Schurtechniken zu garantieren.
Entscheiden Sie sich nach Möglichkeit für Produkte mit den genannten Siegeln, aber beachten Sie: Ein nicht vorhandenes Siegel bedeutet nicht automatisch schlechte Haltung. Besonders kleine Unternehmen und Höfe können sich die Kosten, die mit einer Zertifizierung verbunden sind nicht leisten, produzieren aber dennoch nachhaltig und tierschutzgerecht. Wenn Sie bei dem von Ihnen ausgewählten Hersteller keine Siegel oder sonstige Informationen zum Tierschutz finden, empfehlen wir die direkte Kontaktaufnahme.
Ist nicht zu ermitteln, woher die verarbeitete Wolle stammt und ob diese mulesingfrei ist, raten wir Verbraucher*innen aus Tierschutzsicht vom Kauf ab. Weichen Sie stattdessen auf Materialien nichttierischen Ursprungs aus.
- Genutzt werden können verschiedene nachhaltigere und tierfreundlichere Naturmaterialien wie bspw. Bambus, Kapok, Hanf. Bio-Baumwolle ist aufgrund des hohen Wasserverbrauchs bei der Produktion allerdings wiederum nicht besonders umweltfreundlich.
- Synthetische Isolationsmaterialien können zwar ebenfalls eine Alternative zu Wolle darstellen, doch sollte man bei der Anschaffung einer neuen Kunstfaserjacke auf die Nachhaltigkeits- und Umweltsiegel (z.B. bluesign®) achten. Viele Kleidungsstücke aus Synthetikfasern sind heikel, da sich bei jedem Waschgang kleinste Plastikpartikel von der Kleidung ablösen, die ins Grundwasser gelangen. Sie verschmutzen die Weltmeere und landen nicht nur im Bauch von Meerestieren, sondern auch auf unseren Tellern.
- Einige Labels/ (Online-) Shops kennzeichnen ihre Produkte mit individuellen Mulesing-free Etiketten. Doch Achtung: Ein einheitliches, offizielles Label gibt es derzeit noch nicht und so sollten sie bei Mulesing-free Etiketten beim Anbieter genau nachfragen, woher die Wolle stammt und wie die Produktion kontrolliert wird. Auch die Verbraucherschutzzentrale kann hier ein hilfreicher Ansprechpartner sein.
- 4% der weltweiten Merinowolle wird in Argentinien produziert. Aufgrund des trockenen, kühlen Klimas Patagonien, wo die meisten Merinoschafe gehalten werden, geht für die Tiere dort keine Gefahr von Schmeißfliegen und Fliegenmadenbefall aus. Wolle aus Argentinien ist entsprechend immer mulesing-frei.
- Seien Sie kritisch: Nur allzu oft liest man, dass Länder, in denen die Lucilia cuprina nicht vorkommt, natürlicherweise 100% mulesing-frei seien. Doch auch in anderen Ländern gibt es das Krankheitsbild der Myiasis, also des Fliegenmadenbefalls, und lange Zeit war das Mulesing auch außerhalb von Australien und Neuseeland die Standardtherapiemethode. In Europa ist das Mulesing derzeit in der Slowakei und in Nordirland erlaubt. Dass die Wolle nicht aus Australien kommt, muss also nicht zwingend heißen, dass sie auch mulesing-frei ist.
- Unterstützen Sie die Forderung an das australische Parlament, Mulesing zu verbieten – durch Ihre Unterschrift der entsprechenden Petition auf change.org: https://www.change.org/p/ministers-of-agriculture-for-the-46th-parliament-of-australia-help-the-lambs-no-more-suffering-for-merino-wool
++ Der Welttierschutzgesellschaft e.V. weist darauf hin, dass dieser Artikel mit größter Sorgfalt recherchiert und erstellt wurde. Die Inhalte und Links werden allerdings nicht stetig aktualisiert und beziehen sich grundsätzlich immer auf den Stand der Recherche zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Wenn Sie Anregungen oder Bemerkungen zum Artikel haben, nehmen Sie bitte mit uns Kontakt via info@welttierschutz.org Kontakt auf. ++
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