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#StopptTierleid: Check der Ampelkoalition

„Fortschritt wagen“ steht drauf, doch wie viel Wandel und Fortschritt ist mit Blick auf unsere Forderung, die Darstellung von grausamen Gewalttätigkeiten gegenüber Tieren in sozialen Netzwerken zu verbieten, wirklich drin? Wir haben für Sie den 177 Seiten langen Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP daraufhin analysiert – und sehen Anlass zur Hoffnung.

Unsere Forderung im Rahmen der Kampagne „Stoppt Tierleid in den sozialen Netzwerken“ ist klar: Wir setzen uns für ein Verbot der Darstellung grausamer Gewalttätigkeiten gegenüber Tieren ein, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung ausdrücken. Dafür wollen wir die Novellierung des bestehenden §131 Strafgesetzbuch erreichen – wie folgt:

  • „Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen, menschenähnliche Wesen oder Tiere in einer Art schildert, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt, a) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht, (…).“

Wird sich die Ampelkoalition für diese Forderung begeistern lassen?

Unsere zurückliegende ausführliche Analyse der Partei- und Wahlprogramme zur Bundestagswahl im September 2021 – hier nachzulesen: https://welttierschutz.org/stoppttierleid-parteiencheck/ – zeigte bereits, dass zwar alle Parteien vor der Wahl jeweils deutlich mehr Tierschutz im Allgemeinen auf der einen Seite und veränderte Regeln für digitale Plattformen wie soziale Netzwerke auf der anderen Seite forderten. Von keiner Partei wurde dabei aber das eine Thema mit dem anderen in Verbindung gebracht, obwohl unserer Ansicht nach für eine umfassende Verantwortungsübernahme der sozialen Netzwerke auch die Darstellung von Tierleid berücksichtigt werden sollte.

Dass keine konkrete Beschäftigung mit dem Thema „Tierleid in den sozialen Netzwerken“ stattfand, hat sich auch nicht mit dem vorliegenden Koalitionsvertrag geändert. Dennoch bietet er Anknüpfungspunkte:

Wo wir im Koalitionsvertrag Chancen sehen:

  • Im Kapitel Landwirtschaft und Ernährung macht zunächst Hoffnung, dass ein*e Bundestierschutzbeauftragte*r ernannt werden soll. Anders als bisher, wenn einzig einige Länder entsprechende Beauftragte auf Landesebene stellten und auf Bundesebene das Thema Tierschutz ausschließlich im Landwirtschaftsministerium behandelt wurde, soll sich jetzt im Rahmen der Ampelkoalition eine Person diesem Verantwortungsbereich stellen. Wenngleich weder die Person noch die Aufgabengebiete definiert sind, zeigt dies zunächst, dass ein stärkerer Fokus auf den Tierschutz zu erwarten ist. Dies sehen wir unter der Voraussetzung als Chance, dass für die oder den Bundesbeauftragten dabei der Tierschutz nicht vor dem digitalen Raum Halt macht.
  • Während in diesem Kapitel keine weitere Annäherung an das Thema der Gewaltdarstellungen gegenüber Tieren stattfindet, nähert sich die Koalition im Bereich Digitales sehr verwandter Themen. Unter dem Titel „Digitale Innovation und digitale Infrastruktur“ (Seite 17 ff) verdeutlichen die Vorhaben, dass ein „Weiter so“ in Bezug auf die sozialen Netzwerke von Seiten der neuen Regierung nicht in Frage kommt. So sollen vor allem Nutzer*innenrechte gestärkt werden – auch durch klare Meldeverfahren und die Überprüfbarkeit der Algorithmen. Außerdem solle hierzulande der bisher für Netzwerke geltende Rechtsrahmen (darunter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, NetzDG) überarbeitet werden. Auch Plattformräte, also direkte Ansprechpartner*innen bei den Netzwerken, werden von Seiten der neuen Regierung eingefordert. Wir unterstützen diese Vorhaben sehr, da sie – auch im Sinne unserer Kampagne – in die richtige Richtung führen: Dass eine stärkere und einheitliche Regulierung der sozialen Netzwerke im Hinblick auf Gewalt-Inhalte gefordert werden und Nutzer*innen-Rechte gestärkt werden sollen, ist wichtig. Neben dem Fokus auf den Menschen muss hier aber die Verbindung mit dem Thema Tierschutz und somit auch auf die dabei sehr relevanten Inhalte grausamer Gewalttätigkeiten gegenüber Tieren ergänzt werden.
  • Zudem soll erstmals auf Bundesebene die Errichtung einer Zentrale für digitale Bildung geprüft werden. Hier ist anzunehmen, dass im Fokus des Instituts auch die Ausweitung der Medienkompetenz z.B. von Nutzerinnen und Nutzern sozialer Netzwerke gefördert werden soll. Das ist konstruktiv auch für unsere Anliegen: Denn je besser das Verständnis für die Algorithmen sozialer Netzwerke ist, desto bedachter fällt wohl auch die Reaktion auf Inhalte aus. Praktisch heißt dies, dass Nutzerinnen und Nutzer entsprechend unserer Empfehlung mit Nichtreaktion auf etwaige Tierleid-Inhalte handeln – und nicht mehr Likes oder Dislikes setzen, durch die die Reichweite von Gewalt-Beiträgen noch gesteigert wird.

Wo der Koalitionsvertrag Gefahren birgt

  • Die europäischen Vorhaben für den Digital Services Act (DSA) sollen die Basis für eine Überarbeitung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (kurz: NetzDG) werden. Letzteres verpflichtet hierzulande die Netzwerke bereits zur Einhaltung bestimmter Regeln, basierend auf Strafbestände des Strafgesetzbuches. Das Pendant auf europäischer Ebene – der „Digital Services Act“ (kurz: DSA) – soll EU-weit eine strengere Regulierung digitaler Dienste und Märkte sicherstellen. Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten erörtern aktuell in einem Ausschuss den Entwurf zur Ausformulierung des DSA, im Januar 2022 soll der finale Entwurf dem gesamten EU-Parlament zur Abstimmung gestellt werden. Tierschutz spielt darin allerdings – wie auch schon im NetzDG – keine Rolle. Das birgt die große Gefahr, dass die so dringend notwendige Berücksichtigung der Darstellung von Gewalt gegenüber Tieren auch auf längere Sicht weiter weder in Deutschland noch auf EU-Ebene stattfindet. 

Auch wir als Welttierschutzgesellschaft haben uns im Rahmen der Kampagne „Stoppt Tierleid in den sozialen Netzwerken“ hier bereits positioniert und ein umfangreiches Feedback an das EU-Parlament gerichtet: Dabei baten wir die Europäische Kommission und ihre Vertreterinnen und Vertreter bei der Diskussion über die digitale Zukunft Europas auch die Verantwortung von Netzwerken zur Förderung des Tierschutzes zu berücksichtigen. Neben relevanten Themen wie Hassrede und Desinformation sollten alle Arten von Tierleid-Inhalten, die keinen informativen oder dokumentarischen Zweck erfüllen, in den sozialen Netzwerken reguliert werden.

Fazit unserer Analyse des Koalitionsvertrages: Verhaltener Optimismus!

Die neue Regierung gibt sich sowohl im Tierschutz- als auch im Digitalbereich progressiv und will längst überfällige Lücken schließen. Wir sind deshalb optimistisch, dass wir offene Ohren für unsere Forderung finden werden: Die Darstellung von grausamen Gewalttätigkeiten gegenüber Tieren in sozialen Netzwerken, die keine informativen oder dokumentarischen Zwecke erfüllen, muss verboten werden – dies ist die einzig richtige Konsequenz einer Verbindung der Themenbereiche Tierschutz und Digitalpolitik. Für uns gilt es jetzt, dies auf das politische Parkett zu heben und sowohl bei Mitgliedern des Bundestages als auch in den verantwortlichen Ministerien dafür zu werben.

Liebe Tierfreundinnen und Tierfreunde, seien Sie versichert, dass wir unser gemeinsames Anliegen jetzt mit Nachdruck verfolgen – damit der Tierschutz auch im digitalen Raum sichergestellt wird!