Berlin, 30.06.2022
In keinem anderen Staat der Europäischen Union leben so viele Braunbären wie in Rumänien. Doch seit Jahren schwelt im Land ein Konflikt über den Umgang mit den großen Landsäugern. Wie lokale Partner der Welttierschutzgesellschaft (WTG) in Rumänien berichten, hat sich die Stimmung dort zuletzt deutlich zu Ungunsten der Bären entwickelt: In Medien und Politik herrscht ein zunehmend bärenfeindliches Klima und nicht zuletzt wird dem Umweltminister des Landes, der aus einer Region mit hoher Bärendichte und verbreitet negativer Einstellung gegenüber Bären stammt, eine große Nähe zu den Jagdvereinigungen nachgesagt. Organisationen im Land hingegen, die sich für Tiere und Natur einsetzen, werden von politischen Abstimmungsprozessen zunehmend ausgeklammert.
Das Ergebnis spiegelt sich in der – in verschiedenen Bereichen problematischen – neuen Bären-Verordnung wider, die das rumänische Umweltministerium im April verabschiedet hat.
Verordnung Nr. 723 legt die jährliche Höchstzahl von Bären fest, die zur Vermeidung von Schäden an Menschen, Nutztieren und Kulturpflanzen geschossen oder eingefangen werden dürfen. Im Vergleich zur vorigen Verordnung aus dem Jahr 2019 ist diese Zahl um mehr als 50 Prozent angehoben worden – von damals 140 Bären auf nun 220 Bären pro Jahr.
- Davon können 140 Bären pauschal zum Abschuss freigeben werden. Die regionalen Jagdvereinigungen im Land haben weitgehend freie Hand, welche Tiere geschossen werden.
- Weitere 80 Bären dürfen der neuen Verordnung nach auf Antrag lokaler Behörden – erneut unter Einbeziehung der Jagdvereinigungen – getötet werden. Von diesen Bären muss laut Verordnung allerdings eine „unmittelbare Gefahr“ ausgehen. Die Hürden, diese nachzuweisen, sind jedoch niedrig. Es reichen einfache Belege wie Handy-Fotos, die beim Umweltministerium einzureichen sind.
In den ersten knapp zwei Monaten, seitdem die neue Verordnung gilt, wurde die Tötung von zwei Bären in Rumänien aufgrund einer „unmittelbaren Gefahr“ genehmigt. Weitere 29 Bären wurden durch die Jagdvereinigungen getötet.
Die Verordnung lässt zudem die Möglichkeit offen, dass zusätzlich zu den insgesamt 220 genehmigten Bärenabschüssen weitere Tiere getötet werden dürfen – „sofern es keine annehmbare Alternative gibt“, wie es in der Verkündung des Umweltministeriums heißt. Damit lässt die Verordnung eine Hintertür für weitere Abschüsse offen, die die ohnehin schon stark angewachsene Zahl der erlaubten Abschüsse noch deutlich erhöhen könnte.
Kein Bär wird geschont
Aus Tierschutzsicht ist noch ein weiterer Aspekt sehr kritisch zu bewerten: Die Verordnung erlaubt es, sämtliche Bären zu töten, die in Konflikt mit Menschen geraten – unabhängig davon, ob es sich beispielsweise um Muttertiere, Jungtiere oder trächtige Weibchen handelt. Das ist als klarer Verstoß gegen ethische Mindestmaßstäbe bei der Jagd auf Tiere zu werten.
Aktuell liegt der Schwerpunkt der Maßnahmen dabei noch auf Tieren, die sich im Umfeld menschlicher Siedlungen aufhalten. In der aufgeheizten Stimmung, die durch die Medien befeuert wird, werden aber auch Stimmen lauter, die den Abschuss von Tieren auch in ihren natürlichen Habitaten fordern.
Die aktuelle Verordnung ist somit eine Konsequenz aus den Entwicklungen in Rumänien und bereitet Tierschüter*innen große Sorgen.
Auch wenn die bisherigen Abschusszahlen nichts Gutes verheißen, bleibt noch zu hoffen, dass die Abschussquoten nicht erreicht werden. Dabei förderlich könnte einer der wenigen positiven Aspekte der Verordnung sein: Der Abschuss der Tiere muss im Vergleich zu früheren Verordnungen jetzt binnen 15 statt 60 Tagen nach Genehmigung erfolgen, ansonsten verliert diese ihre Gültigkeit. Die Gelegenheiten, den Bären tatsächlich innerhalb dieses Zeitraumes zu schießen, sind somit geringer.
Die Welttierschutzgesellschaft wird die Auswirkungen der neuen Bärenverordnung im Verbund mit weiteren lokalen und internationalen Bärenschützer*innen genau im Blick behalten und außerdem darauf hinarbeiten, dass die Bären in den politischen Prozessen wieder eine stärkere Stimme erhalten: Künftig dürfen derartige Verordnungen, die so wichtige Tierschutzaspekte verletzen, keinen Erfolg mehr finden.
Ihr Ansprechpartner ist Christoph May
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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E-Mail: cm@welttierschutz.org
Welttierschutzgesellschaft e.V.
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Über die Welttierschutzgesellschaft
Die Welttierschutzgesellschaft (WTG) ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin. In Entwicklungs- und Schwellenländern engagieren wir uns für eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen von Streuner-, Nutz- und Wildtieren durch Stärkung des Tierschutzes sowie eine verbesserte tiergesundheitliche Versorgung. In unseren Tierschutzprojekten als auch dem Bildungsprogramm TIERÄRZTE WELTWEIT arbeiten wir dafür mit Partnerorganisationen vor Ort zusammen. Darüber hinaus fördern wir das Tierschutzbewusstsein im Land durch die Einbindung der lokalen Bevölkerung. In Deutschland schaffen wir mit öffentlichkeitswirksamen und politischen Tierschutzkampagnen die Voraussetzungen für ein respektvolles und tiergerechtes Miteinander von Mensch und Tier. Weitere Informationen unter: www.welttierschutz.org |