© Kerem Bas - Welttierschutzgesellschaft e.V.

Wo Tiere Leben retten

„Wir sind eins. Hilfst du dem Tier, hilfst du auch mir.“ Dieser Satz von Mama Nema geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Menschen wie sie sind es, die in ihrer Heimat Tansania die Esel und Rinder, Ziegen und Schafe als Teil ihrer Familie sehen. Wenn sie könnten, würden sie die Tiere auf Händen tragen, doch stattdessen werden sie – wortwörtlich – in die Knie gezwungen.

Ein Erfahrungsbericht aus der Massai-Region Simanjiro in Tansania. Von Wiebke Plasse, Leitung Kommunikation der Welttierschutzgesellschaft.

Arusha in Tansania: Es ist früh am Morgen, als wir uns auf den Weg in die Region Simanjiro machen. Letzter Proviant wird gekauft, vor allem literweise Wasser und energiereiche Nahrung wie Bananen. Wir tanken den Wagen und fahren los. Nur 30 Minuten später haben wir den Stadtrand von Arusha erreicht und sind somit am Ende der ausgebauten Infrastruktur angelangt. Von nun an wird die Fahrt zum Abenteuer: Über staubige Wege, durch tiefe Schlaglöcher hinweg, fahren wir dutzende Kilometer. Um uns herum ist das sprichwörtliche Nichts: endlose Steppen, Felder, keine Straßen. Nichts. Hier gibt es weder Möglichkeiten zum Einkaufen noch Strom oder fließend Wasser. Obwohl wir uns Ende August erst zu Beginn der Trockenzeit befinden, wächst schon jetzt kein Grashalm mehr. Die Felder sind ausgetrocknet, Bäche, die einst als Wasserquelle dienten, sind leer.

Kaum vorstellbar, dass diese Region Heimat von rund 200.000 Menschen sein soll.

An einem Ort vor unserer Zeit

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In Simanjiro, einer Region etwa 90 Kilometer von Arusha entfernt, ist das Volk der Massai Zuhause. Etwa 15 Personen leben in einem Familienverbund zusammen, ein Mann, seine 3 bis 4 Frauen und etwa 10 Kinder. Auf jede Familie kommen etwa 2-3 Esel, 5-10 Rinder und 30-40 Ziegen. Die Familien leben so traditionell, wie man es sich in diesem Ort der Welt nur vorstellen kann: Die Familienväter und männliche Kinder gelten als Halbnomaden, was bedeutet, dass sie außerhalb der großen Regenzeit tagelang mit ihren großen Tierherden durch die Steppen wandern – stets auf der Suche nach Weideflächen, auf denen die Tiere grasen können. Die Frauen bleiben derweil in den Boma – so nennen sich die Lehmhütten – die aneinander gereiht ein Dorf für die Familie bilden. Hier übernehmen sie alle täglichen Aufgaben: Sie holen das Wasser von den Wasserstellen, betreiben die Landwirtschaft zur Selbstversorgung, kochen, bauen die Boma, betreuen die Kinder, pflegen die Tiere… Ich nenne sie seit meiner Reise gern die „rastlosen Heldinnen“, weil sie so viele Herausforderungen zu meistern haben.

Nach etwa zweistündiger Fahrt erreichen wir den Kern von Simanjiro, so lässt mich Johnson Lyimo, der Leiter unserer Partner Meru Animal Welfare Organization (kurz: MAWO), wissen. Unverkennbar reihen sich jetzt die Lehmhütten in Abständen von etwa zehn Kilometer aneinander. Zwischen ihnen wandern die Massai-Familien umher.

In diesem tristen Land – Sandfarben und Braun wie die ausgetrockneten Felder – scheinen die bunten Gewänder der Massai wie Illusionen.

Oft sind es noch Kinder, die ihre Herden durch die Steppe treiben. Ich lerne, dass deine Arbeit im Stamm der Massai beginnt, sobald du laufen kannst. Wir halten an, beginnen ein Gespräch, sichten die Tiere und geben den Kindern und ihren Tieren Wasser. Bis wir den Stadtkern Terrat erreichen, vergeht so ein ganzer Tag.

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Die Region hat sich verändert, die Sorgen wachsen, das Leid steigt

Johnson Lyimo, der regelmäßig in Simanjiro ist, beobachtet einen starken Wandel – das kommentiert er die Fahrt über und wiederholt es bei jeder Gelegenheit. Die Jahreszeiten seien außer Kontrolle, ein „Normal“ gebe es nicht mehr, sondern stattdessen einen ständigen Wechsel der Extreme – von der Dürre in die Fluten und zurück in die Dürre. Wasserstellen versiegen: Mittlerweile müssen die Massai durchschnittlich 40 Kilometer zurücklegen, um an Wasser zu kommen. Natürliche Futterquellen, wie Gras auf den Weiden, sind in Folge der verheerenden Dürren vertrocknet oder unter den Fluten noch im Keim erstickt. Und die Landwirtschaft der Familien? Anders als früher reicht die Maisernte der Massai schon lange nicht mehr bis zur nächsten Ernte im Folgejahr. Es ist ein Leben im Ausnahmezustand – es geht ums blanke Überleben, sowohl für Mensch als auch deren zahlreichen Tiere.

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Einige der Menschen treffen wir. Von zweien möchte ich Ihnen berichten:

Zunächst wäre da Mama Nema, ein Mensch, der mir wohl ewig in Erinnerung bleiben wird. Trotz aller Verständigungsschwierigkeiten – die Massai sprechen Massai, ihre eigene Sprache – nimmt sie uns herzlich in Empfang. Sie sagt, wie froh sie sei, dass wir hier sind und ihr und den Tieren helfen. Und sie berichtet von ihrem Schicksal, das so traurig wie beispielhaft für viele Massai-Familien ist: Im Sommer 2017 wurden ihr in einer Nacht alle sieben Esel gestohlen. Einfach weg, ihre Lebensgrundlage, ihre Tiere, ihre Familienmitglieder. „We are one“ (deutsch: wir sind eins), sagt sie und erinnert sich, wie sie damals vor dem Nichts stand. Plötzlich fiel ihr wichtigstes Hilfsmittel im Alltag weg, niemand konnte die Kinder in die Schulen bringen, die Ernte vom Feld oder das Wasser von den Wasserstellen in die Boma transportieren. Grund für Diebstähle wie diesen ist eine steigende Nachfrage nach Eselhäuten in der traditionellen chinesischen Medizin. „Ejiao“, so nennt sich das Produkt, gilt als Heilmittel und kann äußerst lukrativ verkauft werden. Diebe zieht es bis in die tiefsten Dörfer Tansanias – bis ins Leben von Mama Nema und ihren Eseln.

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Ich bin erleichtert zu sehen, welche Wirkung die Soforthilfe der Welttierschutzgesellschaft, unsere Arbeit, zeigt: Das Gehege, das umgehend und in Partnerschaft mit der MAWO im Herzen des Dorfes errichtet wurde, ist heute das Zuhause von drei Eseln. Wild wachsen die natürlichen Pflanzen an den Zäunen, kaum erkennbar und somit gut geschützt sind die Tiere darin. Wasser und Maiskolben stehen für sie bereit. Gemeinsam mit Dr. Katurisa, dem Tierarzt der MAWO, werden die Esel untersucht: Kerngesund. Mama Nema strahlt: „Die Esel sind wie meine Kinder. Ich tue alles, damit es ihnen gut geht“. Das Leben von ihr und ihrer Familie basiere auf der Gesundheit ihrer Esel. Ihr läge alles daran, den Tieren ein gutes und gesundes Leben zu ermöglichen.

Mama Nema hat schweres zu leisten, muss eine Familie ernähren und legt den vielen neuen Herausforderungen wie Wetterextremen und Wassermangel zum Trotz größten Wert auf den Schutz ihrer Tiere. Das Wissen, das sie auch durch unsere Arbeit zum tiergerechten Umgang erlangt hat, gibt sie mittlerweile an andere Massaifrauen weiter. Ich bin zutiefst beeindruckt.

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Als nicht weniger großartig ist mir die Begegnung mit Mama Luca, einer weiteren Massaifrau, in Erinnerung geblieben. Wir treffen sie direkt auf dem Feld, um ihr bei der harten Maisernte etwas zu helfen. Eine Riesenfläche gehört ihrer Familie, etwa so groß wie zwei Fußballfelder. Normalerweise bewirtschaftet sie es allein oder mit Hilfe einiger befreundeten Frauen. Später in ihrer Boma angekommen, besichtigen wir auch hier das mit unserer Unterstützung erbaute Gehege. Ihre Esel sehen gut aus, sind wohl ernährt und weisen keinerlei Wunden auf. Auch Mama Luca ist eine vorbildliche Eselhalterin, die sich der Treue auf der einen und der Verletzlichkeit der Tiere auf der anderen Seite bereits bewusst ist. Unsere Arbeit trägt Früchte – das zu sehen tut gut. 

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Spontan funktionieren wir das Eselgehege um, um ihre etwa 70 Ziegen zu behandeln. Geimpfte Ziegen werden wieder herausgelassen, bleiben in ihrer Herde dann rund um die Boma zusammen. Dank dem gesicherten Gehege haben wir es leichter, die Ziegen zu fangen und für die Impfung zu halten. 

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Die Tage vergehen, wir treffen unzählige wirklich engagierte Massai – und immer wieder ihre Esel.

Die Frauen und ihre Tiere sind unzertrennlich, wichtige Teams

Doch angesichts der immer stärker werdenden Wetterextreme und dem dadurch wachsenden Notstand an Wasser und reichhaltigen Ernten, steht die Mensch-Tier-Beziehung vor neuen Herausforderungen. Nicht überall werden die Tiere so vorbildlich behandelt.

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Der Druck auf Mensch und Tier ist ins Unermessliche gestiegen

Spätestens an einer der letzten Wasserstellen von Simanjiro erkenne ich das schmerzlich: Einige weniger Liter Wasser verbleiben und sollen etwa 9000 Menschen aus der Umgebung von 40 Kilometer versorgen. Hier waschen die Frauen, sammeln das Wasser in den Kanistern, um es in ihre Häuser zu bringen – und sie sollten nach Möglichkeit auch ihre Esel trinken lassen. 

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Doch die reihen sich in der sengenden Hitze aneinander, unversorgt, durstig, überlastet. Viele von ihnen sind sichtlich erschöpft und übersät von unbehandelten Wunden. Tagein, tagaus werden die Tiere ihren Dienst leisten und anders als von Mama Nema und Mama Luka dafür oft nicht wertschätzend und tiergerecht behandelt. Ob durch das falsche Geschirr, eine Überbelastung durch zu schwere Lasten oder eine sehr schlechte Versorgung mit Nahrungsmitteln: So gut wie jeder Esel hier an der Wasserstelle weist massive Verletzungen auf, einem ist der Schweif durch das ständige Reiben der falschen Auflage abgestorben. 

Nur annähernd kann ich nachvollziehen, welch großem Schmerz die Tiere ausgesetzt sind. Und in welch großer Lebensgefahr sie sind – unbehandelt, ungeimpft, unterernährt und somit stark empfänglich für etwaige Krankheiten.

Ja, ich wusste, was mich erwarten würde

Ich kannte die Erzählungen der Kolleginnen und Kollegen und begleite presseseitig unsere Arbeit in Tansania seit nun mehr fast vier Jahren. Die Bilder der geplagten Region, der hungernden und kranken Tiere, der notleidenden Menschen: Ich hatte mich vorbereitet – doch das ändert nichts an den Gefühlen, wenn man es dann hautnah vor sich sieht.

So gelähmt wir im ersten Moment auch durch die grausame Situation sind, beginnt jetzt die Arbeit: Die Wasserstelle ist der perfekte Ort, um Tierhalter zu erreichen. Wir impfen die Esel, behandeln die Wunden und suchen das Gespräch mit den Menschen. Einfühlsam erklären unsere Partner den Menschen den richtigen Umgang mit den Tieren. In Zeiten dieser großen Not – dem Nahrungs- und Wassermangel, dem Leben am Existenzminimum – haben die Menschen größere Sorgen, als das Wohl ihrer Tiere, sollte man meinen. Doch erneut stoßen wir auch hier ausschließlich auf Dankbarkeit für die Tierhilfe, die Versorgung und wichtigen Worte zum tiergerechten Umgang. Die Menschen sind gewillt, dass es ihren Tieren gut geht.

Wie wichtig die Arbeit von uns und unserem Partner vor Ort ist und bleibt, verinnerlichte ich nicht zuletzt nach diesem Tag. Jede Begegnung – mit den Menschen und Tieren Simanjiros – war ein Beleg dafür, wie sehr die Tierschutzarbeit Wirkung zeigt. Doch der Weg ist noch weit: Es braucht insbesondere in diesen Zeiten der großen Not einen kontinuierlichen Einsatz, um sowohl das Wissen über den richtigen Umgang mit Tieren weiterzutragen, als auch nachhaltig eine tiermedizinische Versorgung sicherzustellen.

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Erinnerungen, die bleiben

Durch meine Bilder kann ich täglich – auch vom Berliner Büro der Welttierschutzgesellschaft aus – in die Augen der Esel zurückblicken und die Geschehnisse in Tansania noch einmal nacherleben. Ob es die tieftraurigen Blicke der Tiere sind oder hoffnungsbringende Gespräche wie jenes mit Mama Nema: Es sind diese Erinnerungen, die mich motivieren, mit aller Kraft und größtem Einsatz für unsere so wichtige Tierschutzarbeit zu kämpfen. 

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Stehen Sie uns dabei zur Seite? Denken Sie an Menschen wie Mama Nema, denken Sie an die Zigtausend Esel in Tansania – und geben Sie mit uns die Hoffnung nie auf! Herzlichen Dank.

Helfen Sie, das Leid der Tiere zu lindern!

Schon mit 70 Euro tragen Sie die monatlichen Kosten für die Behandlung der Rinder, Esel und Ziegen mit Hilfe notwendiger Medikamente, Wundverbände und Mineralien auf 30 Märkten in Tansania.

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