Lahmheiten, Euterentzündungen, Gliedmaßenveränderungen oder Stoffwechselstörungen spielen in der Milchkuhhaltung noch immer eine große Rolle. Mehr als jede dritte Kuh scheidet deswegen jährlich aus der Produktion aus und wird geschlachtet.
Diese Tiergesundheitsprobleme gibt es auch in der ökologischen Milchkuhhaltung, auch dort sind sie ein zentrales Thema. Unsere Campaignerin Katharina Tölle wollte im Rahmen der KUH+DU Kampagne erfahren, wie man die Gesundheit der Kühe verbessern kann, und sprach mit Dr. Jan Brinkmann vom Thünen-Institut für Ökologischen Landbau in Trenthorst.
Haltungsvorgaben schaffen gute Voraussetzungen für Tierwohl
Katharina Tölle: „Herr Brinkmann, Sie sind tätig in der Arbeitsgruppe Tiergesundheit und forschen seit Jahren zur Gesundheit von Milchkühen in der ökologischen Tierhaltung. Welche Unterschiede gibt es hier zu konventionell, also herkömmlich gehaltenen Milchkühen, wo es keine Haltungsvorgaben gibt?“
Dr. Brinkmann: „Durch die Haltungsvorgaben auf Bio-Betrieben können die Tiere ihre natürlichen Verhaltensweisen besser ausleben. Auch die zentralen Risikofaktoren für Produktionskrankheiten werden zumindest teilweise reduziert. Ein Beispiel hierfür ist das Auftreten klinischer Lahmheiten. In verschiedenen Studien konnten wir feststellen, dass es in der ökologischen Milchviehhaltung im Vergleich zur konventionellen Milchviehhaltung nur etwa halb so viele klinisch lahme Kühe gibt.“
Katharina Tölle: „Immerhin die Hälfte weniger. Kann man Erkrankungen bei Milchkühen also über Haltungsvorgaben vorbeugen?“
Dr. Brinkmann: „Über das Platzangebot im Stall oder über Vorgaben zum Management wie z. B. Weidegang oder Einstreu im Stall können gute Voraussetzungen geschaffen werden, die zum Tierwohl beitragen. Das alleine ist aber noch nicht ausreichend. Ob eine Kuh eine Euterentzündung hat oder lahmt, kann nur direkt am Tier festgestellt werden. Wenn wir möchten, dass es den Tieren rundum gut geht, dann ist es wichtig, tierbezogene Indikatoren einzubeziehen. Nur so kann überprüft und sichergestellt werden, dass es den Tieren auch tatsächlich gut geht, sie also gesund sind und sich auch tatsächlich wohlfühlen.“

Planung von Gesundheit und Wohlbefinden
Katharina Tölle: „Sie arbeiten selbst mit solchen tierbezogenen Indikatoren, um mit diesen ‚Messgrößen‘ die Gesundheit und das Wohlbefinden direkt am Tier ‚abzulesen‘. Auf dieser Basis erstellen Sie dann Pläne zur Verbesserung der Herdengesundheit und des Wohlergehens von Milchkühen.“
Dr. Brinkmann: „Richtig! Schließlich kann man nur das managen, was man vorher auch gemessen hat. Verschiedene praxisangewandte Forschungsvorhaben haben wiederholt gezeigt, dass eine unbefriedigende Ausgangssituation auf einem Hof durch systematische Planung von Gesundheit und Wohlbefinden – auch unter Praxisbedingungen – verbessert werden kann.
Katharina Tölle: „Wie funktioniert das genau?“
Dr. Brinkmann: „Nun, mithilfe der Indikatoren wird zunächst der Status quo der Tiergesundheit auf dem Hof analysiert. Dabei ist besonders wichtig, verschiedene tierbezogene Indikatoren gleichermaßen in den Blick zu nehmen. Einige dieser Indikatoren werden heute schon routinemäßig in der Milchviehhaltung erfasst, beispielsweise Kennzahlen der Euter- und Stoffwechselgesundheit bei der monatlichen Milchleistungsprüfung. Andere Indikatoren müssen direkt an der Kuh erhoben werden, zum Beispiel zum Ernährungszustand oder zum Gang der Kuh.“
Katharina Tölle: „Wie geht es dann weiter, wenn Sie diese Indikatoren erhoben haben?“
Dr. Brinkmann: „Daraus lässt sich dann eine einzelbetriebliche Schwachstellenanalyse und betriebsindividuelle Handlungsempfehlungen ableiten. Es gibt sehr viele wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie die Produktionskrankheiten entstehen bzw. welche Risikofaktoren deren Auftreten begünstigten. Diese Erkenntnisse bringen wir in die Handlungsempfehlungen ein und zeigen für den jeweiligen Betrieb passende Lösungsmöglichkeiten auf, die im Alltag auch umsetzbar sind.“

Innovative Beratungs- und Managementkonzepte
Katharina Tölle: „Sie sorgen also dafür, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Entstehung von Gesundheitsstörungen auch ihren Weg in die landwirtschaftliche Praxis findet.“
Dr. Brinkmann: „Genau. Im wissenschaftlichen ‚Elfenbeinturm‘ nützen diese Erkenntnisse niemanden. Uns treibt bei unserer Arbeit die Frage an, die uns vor Jahren ein Kollege gestellt hat: ‚Für wen forschen wir eigentlich?‘ Nur die Land-wirte selbst können Maßnahmen umsetzen, die die Gesundheit ihrer Tiere verbessern und das Wohl der Kühe nachhaltig steigern. Sie müssen bereit sein, Maßnahmen zur Optimierung des Tierwohls konsequent umzusetzen, ansonsten kann sich die Situation in der landwirtschaftlichen Praxis nicht nachhaltig verbessern. Der ‚Faktor Mensch‘ ist hier einfach entscheidend.“
Katharina Tölle: „Wie erreichen Sie die Landwirte?“
Dr. Brinkmann: „Dazu brauchen wir innovative und motivierende Beratungs- und Managementkonzepte. Wir müssen die richtigen Verbesserungsstrategien kennen, diese erfolgreich vermitteln können, sie organisieren und finanzieren. Dies wird nur in enger und partnerschaftlicher Kooperation von Wissenschaft und Praxis, z. B. mit Anbau- und Erzeugerverbänden oder auch Molkereien, gelingen. Daran werden wir auch in Zukunft arbeiten.“
Stable School zur Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens
Katharina Tölle: „Können Sie ein Beispiel für solch ein innovatives Beratungs- und Managementkonzept nennen?“
Dr. Brinkmann: „In den Jahren 2010 bis 2013 hat unsere Arbeitsgruppe eine Pilotstudie zu indikatorengestützten Stable Schools durchgeführt, bei der das Ziel war, die Herdengesundheitssituation auf den beteiligten Betrieben zu verbessern. Dabei nutzten die Landwirte die tierbezogenen Indikatoren für Gesundheit bei Milchkühen, über die wir eben sprachen, zur gemeinsamen Schwachstellenanalyse. Sie tauschten sich darüber aus und entwickelten in der Gruppe betriebsindividuelle Lösungen für ihre Betriebe. Die von uns als Projektmitarbeitern moderierten Treffen fanden reihum auf den Betrieben statt. Auf diese Weise konnten die Landwirte ihren Betrieb gemeinsam in einer kleinen Gruppe von Kollegen optimieren und dabei systematisch und strukturiert vorgehen.“
Katharina Tölle: „Was war das Ergebnis?“
Dr. Brinkmann: „Die teilnehmenden Betriebe haben während der dreijährigen Projektlaufzeit eine Vielzahl an Optimierungsmaßnahmen erarbeitet; die wichtigsten bezogen sich auf die Stoffwechsel- und Eutergesundheit. In den Betrieben zum Beispiel, die Handlungsempfehlungen im Bereich der Eutergesundheit umsetzten, stieg der Anteil eutergesunder Kühe signifikant an.“
Katharina Tölle: „Wie bewerteten die Landwirte die Stable School?“
Dr. Brinkmann: „Die Landwirte fanden den selbstbestimmten Ansatz motivierend und schätzten es, praxisnahe und betriebsindividuelle Handlungsempfehlungen gemeinsam zu erarbeiten. Ihnen gefiel besonders, dass sie ihren Betrieb anhand der erfassten Daten mit anderen Betrieben vergleichen und so Schwachstellen und Potenziale im eigenen Stall erkennen konnten.“
Katharina Tölle: „Wie unterscheidet sich die Stable School von anderen Beratungsinstrumenten?“
Dr. Brinkmann: „Meines Erachtens sind Stable Schools ein vielversprechendes Instrument, das die Beratungslandschaft bereichern kann. Im Ergebnis kann dieses relativ kostengünstige Beratungskonzept, in dem sich die Betriebsleiter untereinander beraten und gemeinsam Lösungsmöglichkeiten suchen, genauso viel leisten wie eine Einzelberatung.“
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